Sonntag, 23. August 2009

St Petersburg nach Yekaterinenburg:Zugfahrt mit Platskart











Alexej wischt sich den Schweiss von der Stirn, sein Shirt klebt an der Rückenlehne und hinterlässt den Abdruck seines schwabbligen Rückens und Nackens als er aufsteht um nach seinen Zigaretten zu suchen. Als er durch den Gang der Transibirischen Eisenbahn im Waggon 11 von Moskau nach Jekaterinenburg läuft, hinterlässt der Necktar, der aus seinen Achselhöhlen tropft (schon seitdem er vor 2 Tagen die weite Reise von der Ukraine mit seiner 4-köpfigen Familie angetreten hat) eine unverkennbare Duftnote.
Der Wagon 11 in dem sich ca. 53 andere Mitreisende Vitalis, Nataschas und Alexandars befinden, hat soeben den Bahnhof in Moskau verlassen. Überall beginnen die Menschen ihren mitgebrachten Fresspackete auszubreiten. Innerhalb weniger Sekunden sind die Tische gedeckt und zu den 28 Grad Raumtemperatur gesellen sich nun der Geruch von Hähnchenschenkeln, Aufbrühsuppen aller Art, Blutwurst, gepaart mit dem von abgestandenen warmen Bier und natürlich Wodka. Zusammen mit dem üblen Gestank von Vitalis Füßen, die ihn schon nunmehr 71 Jahre lang und viele viele Kilometer überall hin und nirgends getragen haben, und Vitalis ehrlich verdientem Schweiß und mittlerweile auch dem Rauch der jedes mal beim öffnen der klapprigen Wagentür neben Schlafbett Nr.38 in den Raum geblasen wird, ergibt das eine kaum zu beschreibende Mischung.

Irina, 30 und glückliche Mutter einer 2 jährigen süßen Tocher (Dascha), kommt gerade aus der von Urin und von Kot und Dreck beschmutzten Toilette zurück in den Wagon 11. Wieder knallt die alte morsche Türe gegen das Bett von Platz 38 welches sich oben über Bett 37 befindet. Da Irina eine Ärztin aus Perm ist, nimmt sie es mit der Hygiene etwas genauer als die meisten Menschen in diesem Zug. Der zarte und süßliche Duft der Seife an ihren Händen fühlt sich fast schon fremd und ungewohnt an. Irina ist die Frau von Alexandar. Alexander wischt sich seit der Abfahrt ständig seine Stirn mit einem Geschirrtuch trocken. In den letzten Jahren hat er sein Gewicht auf nunmehr fast 157 kg verdoppelt. Gerade bei solchen Verhältnissen bemerkt er die Veränderung seines Körpers immer sofort. Irinas Kochkünste sind wohl einfach zu gut um ihnen widerstehen zu können.

Als Alexej vom Rauchen zurückkommt atmet er genau auf Höhe des Kopfes von Passagier 38 aus, der gerade auf seiner Pritsche liegt...“Warum tue ich mir das an? Warum haben wir nur die 3.Klasse genommen? Warum liege ich nicht am Strand von Thailand? Wie sollen wir nur 32 Stunden in diesem Zug aushalten? Nonstop?“ fragt er sich und seine etwas jüngere Reisepartnerin. Dann klettert der 33jährige geübt von seinem ca. 1,80m langem und 60cm breitem Schlafdomizil und schlüpft in seine Flip Flops. Er ist ein durchaus attraktiver muskulöser Mann, der jünger als sein wahres Alter ausschaut, obwohl man ihm die Strapazen der letzten Tage und Wochen in seinem Gesicht deutlich ansieht.
Plötzlich schnappt er nach dem Arm seiner Reisebegleitung und schon machen sich Verena und Andy (Platz 38 :-) auf den Weg durch den Zug, vor bis zu Waggon Nr.5, dem Speisewagen. Als die Tür aufgeht gleicht er dem Garten Eden und sie können ihren Augen kaum trauen. Zivilisation!!! Da erscheint sogar die Bedienung- eine Doppelgängerin von Dolly Buster mit einem Ausschnitt von München bis Vladivostok und einem Miniminirock mit schwarzer Spitze- wie ein liebevoller rettender Engel.

Da da (ja ja)...Vodka!!! Und nach dem 5ten Glaserl Vodka pur (0,5 Liter Wodka und 1 Liter O-Saft für 20 Euro) muss das Erlebte erst mal verdaut werden. Nochmal der Blick auf das Zugticket und ein letztes Nachschlagen im „Lonely Planet“:

„PLATSKART ist ideal für 1-Nacht-Reisen. Reist man jedoch mehrere Tage erinnert die Szenerie oft an einen Waggon für Flüchtlinge. Überall hängen Kleider, liegen, sitzen oder stehen Menschen wo Brot herumgereicht wird, Tee oder Fischsuppen. Hier ein Baby das gerade in seinen Pott pieselt, während gerade irgendeine andere Flüssigkeit den Korridor hinab fließt. Manche jedoch sagen (besonders allein reisende Frauen), dass dies immerhin noch besser ist als mit 3 russischen Männern alleine im Abteil zu sein. Es ist ebenso eine tolle Möglichkeit die sehr einfachen Russen kennen zu lernen. Platskart-Tickets kosten die Hälfte oder sogar 2/3 weniger als 2. Klasse Fahrkarten. Wer sich für diese Transportmöglichkeit entscheidet, sollte jedoch bestimmte Plätze meiden, welche da wären: 4, 33, 38 (!!!), 54 und 52. Diese Plätze befinden am Ende des Korridors wo das Licht auch in der Nacht herein scheint, sehr viel Aktivität herrscht und der Geruch der Toilette deutlich zu vernehmen ist...“
Tja, warum tut man sich das alles nur an? Verenale, sag doch au mal was!
Verena:“Weisch Andy, du weischs doch eigentlich selber. Was ist denn passiert, als wir zunächst geschockt waren und den Ersten-Schreck-Wodka getrunken haben? Wir sind voller Begeisterung zurück und haben den ersten Film in der Transib gedreht. Und ab da fanden wir es doch eigentlich wieder richtig gut. Wir sind zurück und mussten lachen; dann noch die komische Action mit der alten Russin und am nächsten Morgen war es doch mal wieder ein Selbstläufer. Plötzlich war das Eis gebrochen und wir waren wieder alle Family: der dicke Alexander, der schwitzende Alexej und alle Anderen. Wir waren wieder mitten drin in unserem Adventure! Plötzlich wurde mit Händen und Füßen gesprochen, Bilder und Musik getauscht, mit Kinderle gespielt, ach, noch so unterschiedliche Menschen waren alle gleich und alle saßen in einem Boot bzw. Zug. Das ist Reisen. Das ist die Transib und nicht in der 1.Klasse durch Russland fahren. Am Ende Haben wir selbst den Stinki umarmt und alle hatten ein schönes Gefühl im Herzen,oder Andy?
Andy:“Verena, Du hasch wie (fast) immer Recht! Nastrovje! (sitzen gerade in Yekaterinenburg, 1600 km weg von MOSKAU; und können wegen der Zeitverschiebung nicht schlafen. Deshalb trinken wir wieder eine Flasche Wodka , auch wenn die Zeitverschiebung nur 2 Stunden beträgt. So langsam, sind wir wohl in Russkia angekommen...)

Hier noch ein paar Zeilen zu St. Petersburg:

Eine tolle Stadt mit tollem Kulturgut (z,B. Bernsteinzimmer). Fast jedes Haus ist eine Sehenswürdigkeit. Wahnsinn. Hier muss ich unbedingt mal im winter herkommen. An jeder Ecke eine Stretchlimo, aber nicht so Minidinger wie bei uns, sondern mind. Doppelt so groß und in pink usw. Russen stehen auf Luxus und Dekadenz. Außerdem scheint Heiraten ihr Hobby. Jeden Tag mind. 5-10 Bräute mit Limos, Porno-Stars-Gäste und weißen Tauben in den Händen- unglaublich! Eine Woche ist nun schon vergangen, Sankt Petersburg liegt weit hinter uns und nun sitze ich hier in einer kleinen Wohnung, genauer noch in einer winzigen Küche in Yekaterinburg, mitten in Sibirien. Eines lernt man hier schnell, die Hostels sind nicht DIE Hostels die wir aus Australien, Deutschland oder etwa Portugal kennen, NEIN, es sind Wohnungen (etwa 40qm) armer Studenten, die einfach 8 Stockbetten verteilt auf Wohnzimmer, Gang und Schlafzimmer stellen. An der Haustür kein Schild sondern nur einen Nummerncode, den man an der Haustür eingeben muss, und schon ist man da in dem neuen Zuhause, in dem Teppiche an der Wand hängen und die Einrichtung eher einer Oma-Wohnung gleichen. Aber was will man mehr erwarten für 500 Rubel (10 Euro) die Nacht. Wohlfühlen tun wir uns allemal, besonders nach 29 Stunden Zugfahrt mit der Transib, da wünscht man sich einfach nur eine Dusche und schon sieht die Welt viel sauberer aus und vor allem besser riechend. Zu der Zugfahrt und die Umstände die uns da überrollt haben habe ich ja schon weiter oben genug gesagt; aber wir kamen uns, bei allem Respekt vor diesem sensiblen Thema, vor wie auf der Fahrt nach Auschwitz ider Dachau ins KZ (ohne jegliche Veri-oder Andy-Übertreibung), 54 Personen eng gedrängt in einem Wagon, Gerüche gemischt aus Essen, Schweiß und abgestandenem Bier, wir mitten drin ... alles erinnerte fortwährend an den Film „Schindlers Liste“ (übrigens auch ein tolles Buch) trotz alle dem eine Zugfahrt mit freundlichen Russen, die wir kaum verstanden aber doch irgendwie verstanden, schöner Landschaft und nach 29 Stunden ratter ratter sitz ich zufrieden in der Omaküche und weiß wiedermal warum es sich lohnt sich solchen Strapazen zu unterziehen. Es ist einfach toll das WIRKLICHE Russland kennen zu lernen, zu sehen wie zivilisiert alles bei uns zu geht und wieder einmal ein Stückchen Welt besser zu verstehen und zu respektieren. Wie heißt einer meiner Lieblingssprüche so schön: Jede Reise zu sich selbst führt um die Welt... Gute Nacht aus der Tiefe Sibiriens ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

hallo ihr beiden lieben!

und herzlich willkommen in asien! tja, wer hätte das gedacht, so weit weg und doch irgendwie um die ecke! allerdings sieht das leben hier - das wisst ihr ja schon - doch sehr viel anders aus!

ich finde die idee mit diesem blog einfach klasse! da habt ihr euch echt was einfallen lassen! das ist alles irgendwie so nah! und wenn ihr euch so sehr mühe macht mit dem schreiben, dann seid ihr auch noch mal viel näher an mir dran! jedenfalls hört sich das bei euch wirklich nach einem abenteuer an! und ich bin wirklich überrascht, wie schnell die zeit doch wieder vergeht! jetzt habt ihr ja doch schon ein ganzes stück zurückgelegt! echt krass!

ich hatte ja neulich so ewige probleme mit meinem visum hier, deswegen musste ich ja auch ausreisen, bin dann zum sinai und war ein paar tage am roten meer und in der wüste! auch echt krass, das kann ich euch sagen!... jedenfalls war ich da auch überrascht wie schnell mein dreimonatsvisum abgelaufen war! soooo krass! das kann man sich ja auch gar nicht vorstellen!

wie dem auch sei, ich freue mich schon sehr auf eure nächsten neuigkeiten! ich fühle mich mal so frei und werde eure blogs hier dann und wann kommentieren!

bis ganz ganz bald!

euer
chrischan

Klaus hat gesagt…

Petersburg ist ja eine schöne Stadt! Ich ar da leider selbst noch nie, habe aber vor, bald dahinzufliegen. Danke also für deine Infos, die helfen mir sehr für die Reise. Ich möchte zudem St. Petersburg mit Moskau verbinden, freu mich schon!